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Heilung der Vergangenheit

Stefanie Schlicht • 23. März 2021

Heilung der Vergangenheit

Diese Geschichte, die Du jetzt liest, ist sehr privat und nur ausgewählte Familienmitglieder und Freunde kennen sie. Nun wirst Du sie auch kennenlernen.

Aber zuerst muss ich Dich darauf hinweisen, dass es in dieser Geschichte von einem sexuellen Übergriff in meiner Kindheit handelt. Wenn Du vielleicht Ähnliches oder Schlimmeres erlebt hast, kann es in Dir unangenehme Gefühle hervorrufen. Aber lass mich Dir eins verraten – es hat ein Happy End.

Es war Sommer, ich glaube im Jahr 1996. Ich war zwölf Jahre alt und mein Körper veränderte sich langsam von einer kindlichen zu einer fraulichen Figur.

Meine Eltern haben gute Freunde, die einen Sohn in meinem Alter haben. Wir kannten uns von klein auf und standen uns sehr nah, doch in diesem Sommer 1996 verändert sich alles.

Sein Vater und er wollten in unserem Garten zelten. So bauten sie es an einem warmen Nachmittag auf. Meine Mama stand in der Küche, um das Abendessen vorzubereiten und mein Papa unterhielt sich im Garten mit dem Vater des Jungen. Der Junge und ich gingen in das Zelt. Ich fand es total spannend, denn mit unseren Eltern waren wir nie zelten.
Ich legte mich hin und fragte mich, wie es wohl ist, bei Nacht in einem Zelt zu schlafen. Da drehte sich der Junge zu mir und fing an, mich anzufassen. Ich wehrte mich und sagte, dass ich das nicht möchte. Doch er war stärker und hielt mich fest, um mich weiter zu berühren. Dabei flüsterte er: „Ich will das mit dir machen, was ich in den Zeitschriften meines Bruders gesehen habe.“

Ich versuchte mich aus seinem festen Griff zu lösen, doch es half nichts. Das Schlimmste war für mich, dass ich zu beschämt war, um Hilfe zu rufen, denn mein Papa stand nur ca. 20 Meter weiter weg.

Irgendwann kam mir eine Ausrede in den Sinn: „Ich habe in meinem Zimmer das Licht angelassen, ich muss es ausmachen, sonst bekomme ich Ärger.“ Daraufhin löste er seinen festen Griff und ließ mich gehen. Ich kletterte schnell aus dem Zelt und rannte aus dem Garten in Richtung Haus. Ich wollte schnell zu meiner Mami - schaffte es aber nur bis zur Kellertreppe. Ich setzte mich geschockt hin und versuchte zu verstehen, was da gerade passiert ist. Ich weiß nicht, wie lange ich dort saß, es muss eine längere Zeit gewesen sein, denn der Junge folgte mir und fragte mich: „Wolltest du nicht das Licht in deinem Zimmer ausmachen?“ Ich nickte und rannte schnell ins Haus zu meiner Mama, die immer noch in der Küche stand und kochte.

Wie ich es meiner Mami erzählte und ob ich weinte, weiß ich alles nicht mehr. Aber eins weiß ich: Meine Mami, die sonst nie die Hand erheben würde, wollte los, um ihn zu bestrafen. Doch ich hielt sie zurück „Warum?“, fragte sie entsetzt. „Ich schäme mich zu sehr“, erwiderte ich. Meine Mama musste mir versprechen, dass sie niemandem davon erzählen würde. Nicht einmal meinem Papa. Und das tut sie bis heute.

Also machten meine Mama und ich gute Miene zum bösen Spiel. Denn die Freundschaft blieb bestehen.
Nie werde ich die traurigen Blicke meiner Mama vergessen und wie sie versuchte, mich bei ihr zu lassen, wenn wir bei dieser Familie zum Geburtstag eingeladen waren und ich eigentlich nicht bei den Erwachsenen bleiben durfte, sondern mit in sein Zimmer gehen musste, um mit ihm zu spielen. Aber es wäre zu auffällig gewesen, wenn ich nicht mehr mit dem Jungen gespielt hätte. Ich kann Dir nicht genau sagen, ob noch einmal so etwas Ähnliches zwischen uns passierte, vom Gefühl her - ja.

Die Jahre vergingen und Gras wuchs darüber, aber anstatt im saftigen Grün, war es gelb. Ein Fleck, den man gerne aus dem Gesamtbild entfernen möchte.

Meine Eltern hatten immer noch guten Kontakt zu der Familie und so sahen wir uns zu jedem Geburtstag. Doch immer, wenn er mich umarmte, erweckte das in mir eine ungewollte Intimität. Trotzdem dachte ich, dass ich es verarbeitet hatte. Ich redete mir ein: „So schlimm war es nicht, es ist nichts passiert.“  - Doch, in mir schon.

Als ich mit Mitte zwanzig, wegen meiner damaligen Essstörung eine Psychologin besuchte, kam genau diese Geschichte wieder hoch und ich brach in Tränen aus. Ich hatte dieses Ereignis wohl doch nicht verarbeitet. Meine Therapeutin versuchte, mich mit dem Satz: „Er war doch noch ein Kind.“ zu beruhigen. Doch seine Umarmungen waren mir immer noch sehr unangenehm. Schon seine bloße Anwesenheit wühlte in mir ein Unbehagen auf.

Als ich schon ein paar Jahre mit Jesus ging, zeigte Jesus mir, dass er dieses Thema mit mir bearbeiten möchte. Ich weigerte mich, denn immer noch war meine Scham darüber zu groß. Doch Gott hat mich auf seine liebevolle Art vorsichtig an dieses Thema herangeführt, sodass ich all mein Unbehagen, all meine Wut, das Gefühl des Ausgeliefertseins und meine Scham in seine wunderbaren Hände abgeben konnte. Und er heilte mich augenblicklich.
Ich kann den Jungen, der jetzt natürlich ein Mann ist, ohne Probleme umarmen, sogar mit Liebe. Er ist für mich wie ein kleiner Bruder geworden.

Vielleicht denkst Du jetzt: „Das ist nicht vergleichbar, mit dem was mir passiert ist“. Und Du hast recht. Für Dich ist mein Erlebnis vielleicht nur eine Schnittwunde, im Gegensatz zu Deinem offenen Bruch. Doch für Jesus macht es keinen Unterschied, wie groß die Verletzungen sind, denn er heilt sie beide.
Ich möchte Dich ermutigen, all Deinen Schmerz, Deine Ängste und Deine Scham Jesus zu geben. Denn er heilt die inneren und äußeren Wunden der Menschen und Du kannst es selbst erleben. Er legt Dir sanft seinen Mantel an, um Deine Scham zu verdecken, um in Dir die Heilung zu erwecken.


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